Immer noch wacht er früh im Morgengrauen auf. Das war einige Jahrzehnte lang die Zeit, zu der er aufstehen musste. Heute ist Helmut Buchta jedoch im wohlverdienten Ruhestand und blickt wohlwollend auf sein Berufsleben zurück. Um ihn persönlich in die Rente zu verabschieden und ihm den Dank für 40 Jahre Loyalität und Schaffenskraft auszudrücken hat Geschäftsführer Michael Stelzer ihn zu einer kleinen Feierstunde eingeladen. Beim zünftigen Weißwurstfrühstück wird bald in Erinnerungen geschwelgt und alte Fotos werden herausgesucht.
1975 hatte Helmut Buchta seine Lehre bereits beendet und seine Erfahrungen als Werkzeugmacher gemacht. Ursprünglich hatte er eigentlich Maler lernen wollen. Doch der Meister schickte ihn damals kaltblütig wieder von dannen, da er für dieses Handwerk einfach zu klein wäre. Nun war er also Werkzeugmacher. Um sich eine neue Herausforderung zu suchen, ging er zum Arbeitsamt. Bald darauf wurde er erneut ins Amt geordert, da man ihm einen Job vermitteln konnte. „Bei STEWO?“ fragte er. Verdutzt wurde ihm das bestätigt. Er war dort beim ersten Besuch auf Wolfgang Stelzer getroffen, der gerade seinen Bedarf an Arbeitern meldete. Mitte Mai 1975 trat Helmut Buchta mit 23 Jahren seinen ersten Arbeitstag in der Kunststoffverarbeitung an.
Er wurde als Einrichter angelernt. Früh um halb sechs begann es damit, die Spritzgussmaschinen anlaufen zu lassen. Täglich fetteten die Einrichter die Holme der Anlagen ein, um den seinerzeit 16 Anlagen so eine längere Lebensdauer zu verschaffen. Die 36 Mitarbeiter arbeiteten im 2-Schicht Betrieb bis 23:00 Uhr. Damals wurden beispielsweise Verbindungsstücke für Fahrradschaltungen, Teile von Feuermeldern und Schreibmaschinen gespritzt. Präzisionsarbeit hatte die Druckerei zu verrichten, die winzige Skalen auf glasklare Kunststoffstreifen aufzubringen hatte. Im Versand arbeitete man in den frühen 80ern noch ohne selbstklebende Etiketten, die automatisiert gedruckt werden. Hier schwang man den Klebstoffpinsel und übte sich in einer akkuraten, leserlichen Handschrift, damit die Pakete auch ihren Bestimmungsort erreichen konnten.
In der Produktionshalle gab es damals nur ein Telefon. Überdacht von einer kupferfarbenen Haube war es in einer Ecke neben den Fräsen und Spritzgussmaschinen installiert. Statt einzelnen Durchwahlen für die Kollegen, hatte man ein Signalsystem entwickelt. So wusste der Vorarbeiter nach dreimaligem Hupen der Telefonanlage, dass die Verwaltung ein Gespräch für ihn hatte. Zweimal Hupen dagegen war für jemand anderen bestimmt und so weiter. Meldete sich allerdings nach einer Weile niemand am Apparat, so betätigte das Büro nebenan den Knopf so häufig, dass ein enervierendes Hupkonzert ertönte. Spätestens dann reagierte jemand aus der Halle.
Heute nicht mehr denkbar, war einst die Unterbringung zum Besuch der K-Messe abenteuerlich gestaltet. Zwei Wohnmobile machten sich von Helmbrechts auf nach Düsseldorf. Die Planung der Unterkunft war aber ein wenig schiefgegangen. So mussten sich plötzlich sieben Mitarbeiter zum Schlafen einen Wohnwagen teilen. Wie genau es dazu gekommen war, daran erinnert sich der Ruheständler im Nachhinein auch nicht mehr.
Im Laufe der Zeit übernahm Helmut Buchta verschiedene Tätigkeiten bei STEWO. Er arbeitete in der Spritzerei, in der Druckerei sowie im Versand und fand schließlich seinen Platz im Materiallager, wo er bis zu seinem Ruhestand seine Fähigkeiten bewies. Während eines Arbeitstages konnte es vorkommen, dass er bis zu 1.000 kg vom Lagerort zur Spritzgussmaschine trug. Er bezeichnet das als „bezahltes Fitnesstraining“, denn er fühlt sich heute noch fit und kräftig. Rückenprobleme kennt er nicht. Innerhalb der 40 Jahre bei STEWO fehlte er vielleicht drei oder vier Male wegen Krankheit.
Als er seine Tätigkeit begann, galt das komplette Firmengelände als Lager. Kam eine Materiallieferung, so wurden die mit Granulat gefüllten Säcke einfach dort hingestellt, wo es gerade am besten passte. Mit dem Wachstum des Unternehmens wurde dieses Vorgehen aber irgendwann problematisch und eine funktionierende Lagerwirtschaft mit Regalen und Computern wurde eingeführt. Jeden Donnerstag ermittelte man den Bedarf an Materialien, druckte dies über das System für den Einkauf aus, damit dieser bestellen konnte. Ein Vorgehen, das bis heute geblieben ist – natürlich mit moderneren und schnelleren Mitteln.
Innerhalb der vier Jahrzehnte bei STEWO erlebte Helmut Buchta viele Veränderungen im Unternehmen. Modernisierungen, neue Technologien, der Generationswechsel in der Führung und die sich rasant entwickelnden Einsatzmöglichkeiten des Computers und der Software. Vieles vereinfachte sich mit den Jahren, Arbeits- und Hilfsmittel griffen immer mehr unterstützend in den Arbeitsalltag hinein. „Früher gibt’s nimmer“, fasst der Ruheständler zusammen.
Helmut Buchta könnte noch viel erzählen. Er bedankt sich beim jetzigen Geschäftsführer Michael Stelzer für die 40 Jahre und es scheint von Herzen zu kommen. Aber eine Sache hat ihn in den letzten Jahren in den Zeiten von Web 2.0 doch gestört. „Früher wurde noch geredet. Heute heißt es nur ‚Hast du das E-Mail gelesen?’“, sagt er. Dennoch sein Fazit: „Das waren schon schöne Zeiten.“ Mit seinem Präsentkorb verlässt er seinen langjährigen Arbeitsplatz, kehrt aber gleich darauf noch einmal zurück für einen Streifzug durch das Unternehmen, um seine ehemaligen Arbeitskollegen kurz zu besuchen.
Bei ihnen galt er als „Mädchen für alles“, der sich kümmerte, wenn es einmal ein Problem gab. Bezeichnend für ihn ist der Ausspruch „Do! Schau! Sixt!“, wenn er jemanden von einer eingegangenen Materiallieferung unterrichtete. Kam er auf einen Kollegen zu und forderte ihn zu einem „Kumm a mol schnell mit“ auf, so stand der Fokus auf dem „schnell“. Eben noch gesprochen, war er schon von dannen geeilt und man hatte zu tun, ihm hinterher zu kommen. Aus diesen und noch mehr Gründen hatte auch die Belegschaft für eine Überraschung für „ihren Helm“ gesammelt und verabschiedete ihn sehr herzlich in seinen Ruhestand.